Barrierefreiheit – im Netz und anderswo

Barrierefreiheit – im Netz und anderswo

Barrierefreiheit – im Netz und anderswo

Ich bin kürzlich und eher zufällig auf ein interessantes Thema gestoßen, eines, das zwar nicht neu ist, das bisher aber dennoch unter meinem Radar geblieben war: Barrierefreiheit.

Für mich als Webdesignerin bedeutet Barrierefreiheit zunächst einmal etwas sehr konkretes, nämlich, mich um zugängliche Webauftritte für eine möglichst große Benutzergruppe zu bemühen. Die letzten Wochen habe ich deswegen mit eingehender Recherche und Fortbildung verbracht. Und auch selbst – künstlerisch, kreativ und philosophisch – über das Thema Barrierefreiheit nachgedacht.

Barrierefreiheit ermöglicht Teilhabe

Barrierefreiheit – im Netz und anderswo – ermöglicht es idealerweise allen Menschen, Angebote zu nutzen, und zwar unabhängig von ihrer geistigen bzw. körperlichen Verfasstheit. Damit ist sie eine Grundvoraussetzung von Teilhabe.

Wie barrierefreie Nutzung genau geschehen soll, wird im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) in § 4 klar fomuliert:

„… in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe.…“

Es geht also bei Barrierefreiheit (1) explizit nicht um Sonderlösungen für Menschen mit Einschränkungen, sondern darum, alle Angebote so zu gestalten, dass sie für alle Menschen gleichermaßen gut nutzbar sind.

Zielgruppen für barrierefreie Angebote

Doch was spricht neben allgemeinen Überlegungen zur Gerechtigkeit und gesetzlichen Vorgaben(2) eigentlich dafür, sich um barrierefreie Angebote zu bemühen? Tatsächlich sind es sehr konkrete – und für mich erschreckend hohe – Zahlen: Allein in Deutschland gibt es ca. 8 Mio schwerbehinderte Menschen, 7,5 Mio der Bürger im arbeitsfähigen Alter sind funktionale Analphabeten, ca. 25% sind mit komplexen Texten überfordert.(3) Neben eingeschränkten Sinnes- bzw. Bewegungsfähigkeiten stellen auch kognitive Einschränkung und der natürliche Alterungsprozess Hürden für die Nutzung von Angeboten dar.(4) Aus unternehmerischer Perspektive betrachtet geht Anbietern also eine beachtlich große und beständig wachsende Zielgruppe verloren, wenn sie auf Barrierefreiheit verzichten. Und es hat sich gezeigt, dass barrierefreie Websites bessere Suchergebnisse erzielen und sich Wartungskosten reduziert.(5)

Barrierefreies (bzw. inklusives) Design bedeutet also sehr viel mehr, als „für Blinde“ zu gestalten. Tatsächlich ist die Zielgruppe für barrierefreie Angebote vielgestaltig, sie reicht von Menschen ohne Einschränkungen bis zu jenen mit vielfältigen Behinderungen, wobei sich die Anforderungen einzelner Gruppen zum Teil sogar widersprechen können.

Barrierefreiheit als Prozess

Damit wird klar, warum Barrierefreiheit ein kein Projekt sein kann oder auch kein statischer Zustand. Barrierefreiheit ist vielmehr ein Prozess: Ein bestmöglich gestaltetes Angebot wird in Feedbackschleifen mit den unterschiedlichen Nutzergruppen immer weiter verbessert. So nähert es sich im Lauf der Zeit – iterativ – dem Ideal von Barrierefreiheit an.

Und dieser Prozess erreicht Teilhabe vielleicht gerade dadurch, dass es nicht darum geht, die eine Lösung für alle Menschen bereitzustellen. Sondern eine Vielfalt von möglichen Zugangswegen, mit deren Hilfe sich jeder Nutzer seinen je eigenen Weg bahnen kann.

Im nächsten Artikel geht es um geeignete Maßnahmen, um Barrierefreiheit bei Webauftritten konkret umzusetzen: Barrierefreiheit in der Praxis

Fußnoten

(1) Eigentlich ist der Ausdruck barrierefrei obsolet. Der Grund liegt darin, dass Barrierefreiheit an sich nicht überprüfbar ist. Sinnvoller ist es, von Konformität zu sprechen und sich an entsprechenden Richtlinien zu orientieren, z. B. der WCAG 2.1 (Web Content Accessibility Guidelines, englisch für „Richtlinien für barrierefreie Webinhalte“) | https://www.w3.org/TR/WCAG21/

(2) Der European Accessibility Act (EAA) wurde in Deutschland 2020 für öffentliche (Behörden, öffentlich finanzierte Institutionen etc.) und 2021 für bestimmte private Anbieter (z. B. Bankenwesen, Anbieter von E-Books, Verkehrsbetriebe) adaptiert, d.h. diese sind inzwischen gesetzlich verpflichtet, barrierefreie Angebote zu machen.

(3) Zahlenmaterial: Domingos de Oliveira | https://www.netz-barrierefrei.de

(4) Sehbehinderungen: fehlende Sehschärfe; fehlendes Farbsehen; Sehrest; Blindheit | Hörbehinderungen: Schwerhörigkeit,; Taubheit | motorische Einschränkungen | Spätbehinderung (ggf. und Unerfahrenheit mit assistiven Technologien) | Kognitive und affektive Behinderungen und Störungen: Störungen und Anfallsleiden; Störungen beim Verstehen und Merken; Leseschwierigkeiten; affektive Störungen; Angstzustände; Depressionen | Fehlende Technikaffinität | Alter.

(5) Vgl. soziale, technische, finanzielle und juristische Vorteile barrierefreier Websites, inklusive der Vorteile für Unternehmen: „Developing a Web Accessibility Business Case for Your Organization“ | https://www.w3.org/WAI/business-case/


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